Camerarius an Meurer, 13.12.1554

Aus Joachim Camerarius (1500-1574)
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Camerarius an Meurer, 13.12.155413 Dezember 1554 JL

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Werksigle OCEp 1483
Zitation Camerarius an Meurer, 13.12.1554, bearbeitet von Jochen Schultheiß (17.12.2019), in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/OCEp_1483
Besitzende Institution
Signatur, Blatt/Seite
Ausreifungsgrad Druck
Erstdruck in Camerarius, Versus senarii de analogiis, 1554
Blatt/Seitenzahl im Erstdruck Bl. A2r-A6r
Zweitdruck in
Blatt/Seitenzahl im Zweitdruck
Sonstige Editionen
Wird erwähnt in
Fremdbrief? nein
Absender Joachim Camerarius I.
Empfänger Wolfgang Meurer
Datum 1554/12/13
Datum gesichert? nein
Bemerkungen zum Datum Datierung am Briefende: Id. Xbr.; Bestimmung der Jahresangabe nach dem Druckjahr.
Unscharfes Datum Beginn
Unscharfes Datum Ende
Sprache Latein
Entstehungsort Bamberg
Zielort O.O.
Gedicht? nein
Incipit Saepenumero cogitans admiror
Link zur Handschrift
Regest vorhanden? ja
Paratext ? ja
Paratext zu Camerarius, Περὶ μεσοτήτων ἢ μέσων ἀνάλογον τριῶν, 1554
Kurzbeschreibung Camerarius rechtfertigt im Widmungsbrief die Beschäftigung mit der Zahlentheorie der Pythagoreer. Dabei erweist sich der Widmungsbrief als ein philosophischer Traktat, in dem sich Camerarius mit dem Verhältnis zwischen der menschlichen Wahrnehmung und den hinter den Dingen stehenden mathematischen Strukturen beschäftigt. Dabei gibt er einen knappen Ausblick auf das herausgegebene Gedicht und präsentiert seine Theorie der Analogie, die drei verschiedene Typen kennt: die arithmetische, die geometrische und die harmonische Analogie.
Anlass
Register Analogie; Mathematik; Philosophie; Geometrie; Werkgenese
Handschrift unbekannt
Bearbeitungsstand korrigiert
Notizen
Wiedervorlage ja
Bearbeiter Benutzer:JS
Gegengelesen von
Datumsstempel 17.12.2019
Werksigle OCEp 1483
Zitation Camerarius an Meurer, 13.12.1554, bearbeitet von Jochen Schultheiß (17.12.2019), in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/OCEp_1483
Ausreifungsgrad Druck
Erstdruck in Camerarius, Versus senarii de analogiis, 1554
Blatt/Seitenzahl im Erstdruck Bl. A2r-A6r
Wird erwähnt in
Fremdbrief? nein
Absender Joachim Camerarius I.
Empfänger Wolfgang Meurer
Datum 1554/12/13
Datum gesichert? nein
Bemerkungen zum Datum Datierung am Briefende: Id. Xbr.; Bestimmung der Jahresangabe nach dem Druckjahr.
Sprache Latein
Entstehungsort Bamberg
Zielort O.O.
Gedicht? nein
Incipit Saepenumero cogitans admiror
Regest vorhanden? ja
Paratext ? ja
Paratext zu Camerarius, Περὶ μεσοτήτων ἢ μέσων ἀνάλογον τριῶν, 1554
Kurzbeschreibung Camerarius rechtfertigt im Widmungsbrief die Beschäftigung mit der Zahlentheorie der Pythagoreer. Dabei erweist sich der Widmungsbrief als ein philosophischer Traktat, in dem sich Camerarius mit dem Verhältnis zwischen der menschlichen Wahrnehmung und den hinter den Dingen stehenden mathematischen Strukturen beschäftigt. Dabei gibt er einen knappen Ausblick auf das herausgegebene Gedicht und präsentiert seine Theorie der Analogie, die drei verschiedene Typen kennt: die arithmetische, die geometrische und die harmonische Analogie.
Register Analogie; Mathematik; Philosophie; Geometrie; Werkgenese
Datumsstempel 17.12.2019


Regest

Häufig habe Camerarius die Weisheit der Pythagoreer bewundert. Diese hätten in der Zahlentheorie (ratio numerorum) alles in Erwägung gezogen (omnia conata), durch Beweis erklärt (demonstrando explicare), so dass alles durch gesicherte Erkenntnis erfasst werden könne (scientia et firma cognitione apprehendi) (A2r). Es gebe nichts, was über irgendeine Sache eine gesicherte Wahrnehmung (certam perceptionem) gewähren könne, außer eine Betrachtung vermittels einer zahlenmäßigen Bestimmung (numerorum definitione consideratio). Nur so gelangten Verstand und Überlegung zur Sicherheit (ut ita tandem mens et cogitatio consistat). Dies habe der Weisheit der Pythagoreer auch bei manchen die Bezeichnung 'Erkenntnis' (ἐπιστήμη) eingebracht. Nach deren Auffassung leite sich laut Camerarius der griechische Begriff von στάσις (=Standpunkt) ab, da durch die Erkenntnis der Verstand aufhöre, sich in einem Zustand des Umherirrens zu befinden. Nach Camerarius werden bei der Erkenntnis der Pythagoreer jedoch ganz unterschiedliche Aspekte berührt.
So gehe es sowohl um die sinnliche Wahrnehmungskraft des Menschen (humana sagacitate) als auch um die Gegenstände, die dem menschlichen Verstand dargeboten würden (iis rebus quae hominum intelligentiae expositae sunt). Die Erkenntnis der Pythagoreer würde bald durch die (theoretische) Weisheit (sapientia), bald durch die (praktische) Klugheit (prudentia) vollendet (A2r-A2v) und fällt damit sowohl in den Bereich einer Erfassung nach Kausalität und Beschaffenheit (causis naturaque pervestigata) als auch in den Bereich der Rhetorik (orationis vi), der Ethik (actionum honestate) und der Staatstheorie (communis vitae usu).
An diesen Punkt schließt Camerarius unmittelbar eine Mahnung an (A2v): Die eben angesprochene Erkenntnis trage zum glücklichen Leben auf Erden bei und befinde sich damit auch in Übereinstimmung mit der göttlichen Botschaft. Jedoch zeige das Wort Gottes durch Jesus Christus zugleich auch auf, dass in Hinblick auf die Gunst Gottes, das Seelenheil und die wahre Glückseligkeit ein anderer Weg zu gehen sei. Deshalb müsse zwischen der himmlischen (coelestem doctrinam) und der menschlichen (humana) Lehre unterschieden werden.
Was Camerarius in der menschlichen Lehre zu zeigen habe, das wolle er nun der Reihe nach darlegen. Zahlen wohne eine solche Bedeutung inne, dass ohne sie alle Erkenntnis und alles Wissen zugrunde gehen müssten. Da die Natur der Zahlen für sich genommen einfacher sei (numerorum per se simplicior natura) und sich deshalb der geistigen Fassungskraft der Menschen entziehe, die in der Masse der Sinneswahrnehmungen versinke, seien die Zahlen in der Lehre der Weisheit auch mit der Materie verbunden worden. Den Weg zu einer gesicherten Erkenntnis liefere die Geometrie (A2v-A3r). Mit der Beschreibung, der theoretischen Erfassung und dem Vergleich von Figuren (figurarum descriptione et harum rationibus ac comparatione) lege sie der geistigen Fassungskraft (usus intelligentiae) Zahlen dar. die (den Dingen) innewohnen (numeros implicatos). Da auch die Gesamtheit aller Dinge und alle ihre Teile in ihrer Zusammenstellung vollendet, geordnet und schön seien, liege es durchaus nahe, dass in ihnen vom geistigen Erfasungsvermögen (vis intelligens) ein geordnetes System wahrgenommen werden könne.
Die vis intelligentiae definiert Camerarius im Folgenden als eine Kraft des Bewustseins (mens), des Denkens (cogitatio) und der Überlegung (consilium); sie werde als Vernunft (ratio) oder Verstand (intelligentia) bezeichnet. Zu dieser sei wie zur Sprache nur der Mensch fähig. Dieser Kraft unterliege alles, was wahrgenommen werde, was angenehm, nützlich, richtig, wahr, ehrenhaft, schön oder anstrebenswert sei. Ausgeschlossen seien die göttlichen Dinge, denn diese seien einfach (simplicia, unius modi), unermesslich in Zeit und Raum. Hiermit stimme all das überein, was über die Gleichheit (aequalitas, paritas) und Ähnlichkeit (similitudo) gedacht und gesagt werden könne. All dies müsse auf eines zurückgekürzt werden (A3r-A3v). Bei den Proportionen verhalte sich alles 1:1. Was 1 sei, könne jedoch niemand erklären oder festlegen. So verhalte es sich mit dem Göttlichen, bei dem man ebenso besser bestimmen könne, was es sei, als was es nicht sei, denn dies alles entfliehe dem menschlichen Wahrnehmungsvermögen.
Was jedoch mit dem Bewusstsein erfasst und durch Denken geordnet, durch Sprache aufgezeigt und durch Handeln vollzogen werden könne, das liege im Bereich des Verhältnisses von Ungleichem (inaequalitatis dissimilitudinisque et imparitatis ratio et diversorum comparatio inter sese). Auch gleichartige Dinge (aequalia) implizieren die Betrachtung von Verschiedenheit. Um Gleichartigkeit festzustellen zu können, bedarf es eines Wissens um die Ungleichartigkeit (A3v-A4r). Ungleichartiges jedoch könne nicht allein bestehen.
Nun sei es jedoch so, dass im Denkvermögen durch Vergleichung Ungleiches sich gleichgestellt werden könne (nunc fit, ut ratione et comparatione exaequentur imparia A4r). Dies sei, was Platon Analogie (ἀναλογία) nenne, nämlich ein Band zwischen allen Dingen (vinculum quoddam rerum omnium). Von hier ströme alles aus, hierher fließe alles zusammen. Ohne dieses Band gäbe es kein sicheres Erkennen oder Wissen (nulla sine hac firma ac certa scientia aut cognitio), kein in sich stimmiges Handeln (nulla consentanea atque stabilis actio). Was dem nicht entspreche, unterliege dem Irrtum (error). Auch die Ästhetik liege in der Analogie begründet, Hässlichkeit bestehe in ihrem Mangel.
Camerarius erinnert sich daran, sich über diese Thematik schon häufig mit Meurer in Gesprächen ausgetauscht zu haben, die aber gegenwärtig durch seine Reise unterbrochen seien (A4r-A4v). Camerarius halte sich gerade in seiner Heimat und an dieser benachbarten Orten auf, wo er mit Familienangelegenheiten beschäftigt sei und bei seinen Angehörigen lebe. Dies sei zwar angehehm, aber der Umgang mit Gelehrten sei hierdurch unterbrochen. Auch die politischen Zustände im Land beunruhigten ihn, zumal keine Besserung in Aussicht stehe (A4v-A5r).
Es folgen Angaben zur Genese des griechischen Gedichts über die Analogie. Die Verse seien anlässlich der Verzögerungen während der Reise in der Heimat entstanden. Er hätte sie auch vor Publikum dargebracht (expositos aliquando coram). Nach Ciceros Vorbild könnte das Gedicht Proportiones betitelt werden. Camerarius gibt eine knappe Vorschau auf seinen Inhalt: Er geht von der Grundvorstellung aus, wonach sich ein Mittleres zwischen zwei Polen positioniere. Der lateinische Begriff medium, den er hierfür wähle, gebe die griechischen μέσον καὶ μεσότης wieder. Die beiden Extreme, gr. ἄκρα, würden von dem Mittleren entfernt (utrumque abducitur), hätten dieses dennoch als Teilhaber (particeps habent medium A5v) (a-b-c). Diese Auseinanderführung (der Außenpole vom Mittelpunkt) geschehe jedoch nicht aufs Geratewohl, sondern auf eine übereinstimmende Weise bei einer Gleichheit der Verhältnisse (z.B. a-b=b-c oder a:b=b:c). Deshalb sage man, dass diese drei analog, das heiße, nach gleichem Verhältnis (proportione) angeordnet seien. Drei solcher Analogien könnten unterschieden werden: die arithmetische, die nach den Zahlen für sich funktioniere (numerorum per se), die geometrische, die nach Zahlen in Verbindung mit einer Länge funktioniere (numerorum in magnitudinis continuae implicationem). Auf diese Weisen entstünden Figuren (figurae, σχήματα). An dritter Stelle folge die harmonische Analogie. Hierbei entstehe ein Verhältnis zwischen ebendiesen (erstgenannten Analogieverhältnissen) (eorundem rationes seu habitus id est σχέσεις inter sese). Der Name rühre daher, dass es sich bei den Harmonien von Klängen auf die gleiche Weise verhalte. Wenn Camerarius ein Beispiel aus der Astronomie oder Astrologie wähle, so tue er das in Gefolgschaft zu Platon, mit dem er deren Hochachtung aufgrund ihrer Erkenntnisfunktion teile.
Camerarius schließt mit einer Apostophe an den Adressaten des Widmungsbriefes (A5v-A6r), den er für den geeigneten Widmungsempfänger dieses Werkes hält.

(Jochen Schultheiß)

Anmerkungen

  • Bamberg ist als Absendeort am Ende des Briefes explizit angeführt. Auch im Brief spricht Camerarius von der gegenwärtigen Reise, durch die seine Unterhaltungen mit dem in Leipzig ansässigen Meurer unterbrochen seien (A4r-A4v).
  • Die griechische Terminologie und ihre lateinischen Wiedergaben entsprechen denen aus der Ausgabe und Übersetzung zu Euklids Elementa (Euklid, Elementorum geometricorum libri sex, 1549).